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»Alle essen mit«

In Bad Pyrmont hat eine Arbeitsgruppe den Appell zur Teilhabe wortwörtlich genommen und den Euro Eigenbeteiligung abgeschafft. Die Kritik, dass das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) zu bürokratisch und immer noch zu abschreckend sei, ist ja schon alt. In Bad Pyrmont hat man sich also daran gemacht diese These zu überprüfen. Ergebnis: die Nutzung des Mittagessen ist tatsächlich deutlich angestiegen. Jetzt soll eine dauerhafte Finanzierung gefunden werden. Wie es in Bad Pyrmont zu dem Versuch kam, beantwortete Hartwig Henke, ehemaliger Schulleiter und Mitglied der Arbeitsgruppe.

UZ: Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Hartwig Henke: Angeregt hat uns ein Bericht aus Stadt Uslar. Dort wurde der Elternbeitrag von 1,- € abgeschafft und ein Forum „Jeder isst mit“ kümmert sich um Sponsoren. Hierzu gibt es Infos und einen Filmbeitrag unter www.forumkinderarmut-uslar.de. Allerdings wird die Seite gerade aktualisiert.

UZ: Wer hat die das Projekt umgesetzt?

HH: Eine Arbeitsgruppe aus Präventionsrat, Schulen, Sozialraum-AG und dem Projekt „Keiner ist freiwillig arm“ übernahm die Koordinierung.

Zusammen mit dem Landkreis HM-Pyrmont haben wir ein Formular entwickelt, mit dem Eltern auf einer DIN-A4 Seite sowohl die Befreiung von der Lernmittel-Ausleihgebühr als auch kostenloses Mittagessen beantragen können.

UZ: Wie haben die Eltern davon erfahren?

HH: Die Eltern wurden über die Schulen bzw. KiTa in Elternbriefen informiert. Alle Bad Pyrmonter Schulen und KiTa nehmen – bis auf zwei kleine Grundschulen – teil. Die Bewilligungsbescheide werden in den Schulen registriert und an das sogenannte Mensa-Büro der Stadt Bad Pyrmont weitergeleitet. Dort wird die Bestellung des Essens entgegengenommen und die Abrechnungen monatlich an den Verein „Zukunft gestalten e. V.“ des Präventionsrates geschickt. Ich überweise dann die Beträge (aus Spendenmitteln) an die Stadt als Schulträger bzw. an die Träger der KiTa. An der Essen-Ausgabe ist für niemanden zu erkennen, ob es ein kostenfreies oder von den Eltern finanziertes Mensa-Essen ist.

UZ: Wie waren die Reaktionen?

HH: Sowohl in den Schulen als auch den KiTa wurde das neue Verfahren sofort und reichlich genutzt.

UZ: Welche Erfahrungen haben Sie mit Kindern und Eltern gemacht?

HH: In kürzester Zeit ist das Verfahren zu einer Selbstverständlichkeit für alle Beteiligten geworden. Die Zahl der von den Kindern bestellten und dann nicht abgerufenen Essen ist sehr gering. Der Essen-Umsatz ging eindeutig nach oben – besonders in den Schulen.

Die Anzahl der Mittagessen hat sich nahezu verdreifacht.
Das zeigt sich schon, wenn man sich die Steigerung der für den Schulkomplex über BuT in Anspruch genommenen Mittagessen anguckt:
2017 von Juli – September: 340
2017 von Oktober – Dezember: 557
Ab Februar 2018 ohne Elternbeitrag
2018 von Januar – März: 1272
2018 von April – Juni: 1835

UZ: Wie viel Gelder haben Sie insgesamt eingeworben und wie viele Mittagessen damit finanziert?

HH: Die Stadtsparkasse Bad Pyrmont hat bisher 3 x jeweils 3500,- € gespendet, dazu kamen noch 150 € vom DRK-Ortsverein. Sämtliche Gelder werden zeitnah ausgegeben, d. h. 10.650 Mittagessen wurden inzwischen finanziert. In den Kita nehmen fast alle Kinder teil, in den Schulen hängt es oft mit der Anmeldung zu den Ganztagsangeboten zusammen.

 UZ: Wie geht es jetzt weiter?

HH: Zeitnah ist ein Gespräch mit den örtlichen Bundestagsabgeordneten geplant, damit die im Koalitionsvertrag verabredete kostenfreie Mittagsverpflegung endlich bei den Kommunen ankommt; denn die Sponsoren werden nicht unbegrenzt Mittel bereitstellen können.

 UZ: Haben Sie eine Empfehlung an die Politik, die aus diesem Experiment resultiert?

HH: Wenn es die Bundesregierung mit BuT wirklich ernst meint, müssen die Mittel möglichst unbürokratischen und schnell bereitgestellt werden. Sowohl Uslar als auch Bad Pyrmont zeigen, dass sich durch kostenfreies Mittagessen die Zahl der Teilnehmenden deutlich erhöht und das ist ja der eigentliche Sinn von BuT.

Im Übrigen weisen Untersuchungen nach, dass der Verwaltungsaufwand nach dem alten Verfahren deutlich teurer ist als es ein kostenfreies Mittagessen für alle wäre. In diesem Sinne: „Alle essen mit“!

   

Berichte über Bad Pyrmont

Dewezet 

Radio Aktiv

Weitere Links zum Projekt in Uslar:

HNA

Landesarmutskonferenz

Weitere Links

Rezeptdatenbank für Schulessen

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