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»Man muss mit der richtigen Haltung auf die Eltern zugehen.«

Eltern-Akquise

 

Forscher und Sozialarbeiter wissen, dass die Eltern, die Hilfe vermeintlich am nötigsten hätten, am schwersten zu erreichen und zu halten sind. ELTERN-AG gelingt das.

Gespräch vom 07.12.2015 mit Wencke Thiemann, Teamleiterin der ELTERN-AG 

Undine Zimmer: Belastete Eltern gelten als eine Zielgruppe, die schwer zu erreichen ist, sowohl für die Forschung als auch für bereits bestehende Hilfsangebote von Jugendämtern und sozialen Organisationen. Woran liegt das?
Wencke Thiemann: Diese Eltern werden täglich und permanent von ihrem Umfeld mit ihren Defiziten konfrontiert. Wer dies täglich ertragen muss, läuft Gefahr Ängste und Sorgen gegenüber Unterstützungsangeboten zu entwickeln. Häufig greifen die Angebote die Bedürfnisse der Eltern nicht auf, weshalb sie sich von Werbung, Aushängen etc. nicht angesprochen fühlen.

UZ: 80% der Eltern, die eine ELTERN-AG anfangen, bleiben auch bis zum Ende dabei. Das ist eine hohe Quote für eine Zielgruppe, die als nicht sehr verlässlich gilt. Wo findet die ELTERN-AG diese Eltern und wie geht sie auf sie zu?
WT: Die Akquise der Eltern ist allerhärteste Arbeit. Wenn die Fachkraft in der Kita einen Zettel aufhängt, dann melden sich nicht die Eltern, die die ELTERN-AG ansprechen möchte, sondern es melden sich andere Eltern. Eltern, die sich schon um sich selbst kümmern können und die in der Regel auch das Geld dafür bezahlen können. Deswegen spricht die Fachkraft Eltern gezielt an, auch auf der Straße vor dem Supermarkt, auf dem Spielplatz, dort wo unsere Eltern‹ sich aufhalten. Die Eltern finden in der ELTERN-AG einen Ort, wo sie unter anderem Verständnis, Wertschätzung, Freude, Unterstützung erleben. Sie bearbeiten die Erziehungsthemen, die sie wirklich bewegen, können ihr Wissen auch mit anderen Eltern teilen. Sie können in höchstem Maße partizipieren. Durch diese Mitgestaltungsmöglichkeiten erleben sie sich als wertvolles Mitglied einer Gruppe. Genau diese Aspekte motivieren die Eltern wöchentlich zu den ELTERN-AG Treffen zu kommen.

»Die Akquise der Eltern ist allerhärteste Arbeit. Wenn die Fachkraft in der Kita einen Zettel aufhängt, dann melden sich nicht die Eltern, die die ELTERN-AG ansprechen möchte…«

UZ: Würden Sie sagen, dass es bei den nicht-deutschen Eltern schwieriger ist, sie anzusprechen?
WT: Nein, die Elternwerbung sollte anders gestaltet werden, weil man auf Sprachkenntnisse und kulturelle Unterschiede achten sollte. Es wurden bereits ELTERN-AGs mit Eltern aus sechs verschiedenen Ländern durchgeführt. Das funktioniert auch wunderbar. In dieser ELTERN-AG übernahmen auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer Dolmetscherfunktionen, um andere Eltern zu unterstützen.

UZ: Warum lassen sich die Eltern von der ELTERN-AG überzeugen, wenn sie sich sonst so schwer tun, Beratungsangebote anzunehmen, besonders wenn es um Erziehung geht?
WT: Es ist der Empowerment-Ansatz der die Eltern etwas spüren lässt, was sie in ihrem sonstigen täglichen Leben nicht spüren: Anerkennung für das, was sie tagtäglich in ihrem Leben als Eltern leisten. Sie erleben sich bereits während der Ansprache durch die Fachkräfte als kompetent und als Experten ihrer Kinder. Das setzt die richtige Haltung der Fachkräfte voraus von welchen die Eltern angesprochen werden. Diese entsprechende Haltung erlernen sie in der einjährigen Fortbildung zur ELTERN-AG Mentorin oder Mentor.

UZ: Was lockt die Eltern zur ELTERN-AG?
WT: Die Eltern müssen die Fachkraft, die sie anspricht, sympathisch finden, dann kommen sie. Vielleicht. Bei anderen Eltern wirkt die Aussicht auf Kekse und Kaffee, als erste Mahlzeit des Tages. Auch Kontakte zu anderen Eltern knüpfen zu können, ist häufig ein wirksames Argument. Wie genau diese Gespräche ablaufen und welche Argumente, die Eltern überzeugen in die ELTERN-AG zu kommen, erlernen die Fachkräfte ebenfalls in der Ausbildung zur Mentorin oder zum Mentor. Vor jeder ELTERN-AG muss in Gesprächen ein Beziehungsaufbau zu den einzelnen Eltern stattfinden. Manchmal ist es auch die kostenfreie Kinderbetreuung, die lockt. Denn dann hat die Mutter oder der Vater auch mal zwei Stunden für sich. Zeit für für Austausch, zum Kontakte knüpfen und zum Freude haben.

»Es ist der Empowerment-Ansatz der die Eltern etwas spüren lässt, was sie in ihrem sonstigen täglichen Leben nicht spüren: Anerkennung für das, was sie tagtäglich in ihrem Leben als Eltern leisten.«

UZ: Wie muss ich mir das vorstellen?
WT: In jedem ELTERN-AG Treffen sollte mindestens einmal gelacht werden. Spaß und Freude sind ein wichtiger Punkt, warum Eltern gerne zur ELTERN-AG kommen und bleiben. Und dass die Tipps, die sich die Eltern geben, nah an ihrer eigenen Lebensrealität sind. Wenn mir als Teilnehmerin eine andere Mutter, mit der ich mich gut verstehe und die ähnliche Herausforderungen hat wie ich, sagt: »Ich habe eine sozialpädagogische Familienhilfe, die hat mich unterstützt und es läuft super.« Dann nehme ich das als Mutter eher an.

UZ: Was ist denn das Best-Of der Themen, das von den Eltern gewünscht wird in der ELTERN-AG?
WT: Nichts anderes als das was andere Eltern auch beschäftigt: Einschlafen. Durchschlafen. Aufstehen. Von Flüssig- zu Festnahrung. Trocken werden. Trotzphase. Konsequent sein. Nuckel-Entwöhnung. Schimpfwörter. Geschwisterstreit. Mein Kind beißt. Zahnen und die Trotzphase.

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