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Frühlingsschuhe

Kleider machen Leute heißt es, nicht dass Kleider das Denken der Leute steuern. Dennoch denke ich heute den ganzen Tag an meine neuen Schuhe. Ich mag es eigentlich nicht, wenn Dinge mir mein Denken diktieren, und ich bin überrascht, dass ich so anfällig dafür bin.

Ich habe diesen Monat wieder ein Paar Schuhe zu viel gekauft. Es ist komisch, auf welche Gedanken mich meine neuen Schuhe bringen. Fast alle Dinge, die ich besitze, brauchen eine Geschichte. Wie meine Handtasche. Wenn sie von sich aus keine mitbringen, weil ich sie gebraucht erbe, geschenkt bekomme oder Second Hand erstehe, dann schaffen sie sich eben eine. Wie diese Schuhe.

Ich wollte gestern eigentlich keine Schuhe kaufen. Aber sie waren da und gefielen mir. Keine Schuhe, wie ich schon welche habe, und endlich ein Paar, in das meine Einlagen passen, also quasi „was Gutes für den Fuß“. Ich habe meinen Füßen eine neue Matratze gegönnt (und zwei Paar bunt bedruckte Socken dazu).

Da sie hell sind und ich emotional noch im dunkeln Winter bin, habe ich mir besonders sorgfältig Gedanken darüber gemacht, was ich zu meinen neuen Schuhen anziehe, damit sie gut integriert werden. Ich finde die Schuhe cool, ich habe noch nie so ein Paar besessen mit diesem Charakter. Ich finde, sie sehen ausnahmsweise mehr nach coolen Schuhen aus und gar nicht nach gesunden Schuhen, obwohl es so eine gesunde Marke ist. Deswegen mag ich sie ja und wegen der Struktur und dem Rosé an den Seiten und den 50% Rabatt.

Da mein Gehirn denkt, dass nur coole Leute solche Schuhe tragen (alle wirklich coolen Leute werden das verneinen, aber mein Gehirn glaubt das), fühle ich mich, seitdem ich diese Schuhe trage, unglaublich cool. Ich schlüpfe rein und habe eine neue Frisur, eine neue Aura und alles, was ich anhabe sieht, so viel besser aus, weil ich diese Schuhe trage. Totaler Quatsch, sagt die andere Gehirnhälfte, aber das hat mich den ganzen Tag selbst im Büro nicht davon abgehalten, parallel immer an meine Schuhe zu denken. Sogar gegenüber dem Publikum, das zu den Terminen kommt, machen sie mich lässiger, obwohl das Publikum sie unter dem Schreibtisch ja nicht mal sehen kann. Ich teste – lässiges Abstellen zur Seite. Fühlt sich gut an. Hinlümmeln im Bürostuhl, schnell den Gang lang laufen, langsam und lässig den Gang lang laufen, Gummisohle klackt nicht – super, geschmeidig wie nie zuvor, alles wegen der Schuhe. Vielleicht bin ich in einem Andersen-Märchen gelandet und wenn ich nicht aufpasse, tanzen meine Schuhe mit mir davon. Das ist das Rosa neben dem Weiß, anders kann ich es mir nicht erklären.

Niemand, der mich je kannte, würde von mir denken, ich sei besonders modebewusst. Aber das Bedürfnis Klamotten zu kaufen, jetzt wo ich mir zumindest etwas leisten kann, wächst. Wie ein lang unterdrücktes Sehnen nach Schönheit (oder was ich dafür halte). Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich auf Mode, weniger Trends, aber Klamotten, Schuhe, Parfüm und Kosmetik eine ganze Menge Wert lege. Das flüstert mir zumindest meine Monatsabrechnung.

Ob meine Vorliegen mit dem Geschmack anderer zusammenpassen, da habe ich so meine Zweifel. So kombiniere ich meine Think-Schuhe mit meiner Fake Birkin Bag (die musste ich haben, nach dem ich den Film „Blue Jasmine“ von Woody Allen gesehen habe und habe bei Ebay eine für 80 Euro statt 4000-irgendwas Euro gekauft. Sieht genauso aus. Ich liebe sie und bin den Verkäufern immer noch dankbar. Aber oh, wie habe ich beim Kauf mit meinem Gewissen gekämpft. Eine Tasche für 80 Euro. War se wert. Aber warum muss ich, das Hartz-IV- Kind, mit einerm Birkin-Bag-Imitat rumlaufen? Keine Ahnung. Ich muss.

Und mein Rotholz Rucksack. Ich liebe auch Fair-Trade-Streetware. Natürlich habe ich auch eine Geschichte zu Rotholz: einer meiner ersten Berichte für eine richtige Lokalzeitung über ein junges Modelabel in Potsdam. Mein T-Shirt, das ich nach dem Artikel bekommen habe, war mit mir in den letzten Jahren an vielen Orten. Und immer denke ich dann an diese zwei Jungs zurück, die jünger als ich mit Leidenschaft ein Business aufbauen. Ich erinnere mich immer daran, dass mir der Gründer erzählt hat, wie er schon als Schüler T-Shirts benäht und bedruckt hat und dann aus dem Kofferraum verkauft hat. Mein Rotholz T-Shirt erinnert mich an seine Geschichte. An die Faszination und den Elan, den jungen Unternehmergeist. Um etwas mehr davon abzubekommen, kaufe ich immer mal wieder bei Rotholz. Is ja klar. Und ich hoffe, dass ich das „Ernst, das Einhorn“-T-Shirt und das passende Cap gewinne. Die beiden Designer sind auf jeden Fall echte coole Leute. Wahrscheinlich würden sie meine Think-Schuhe nie tragen. Aber mir flüstern die Dinger immer noch ein, ich sei ein kleines bisschen besser als vorher, irgendwas sei anders, gechillter, moderner. lässiger. Vor allem in Kombination mit der Fake-Birkin-Bag und meinem Hipster Tablet, mit dem ich hier in einem Cafe rumsitze und über meine neuen Schule schreibe. Wie diese Berliner. Mal sehen was passiert, wenn die Socken auch noch anfangen zu flüstern.

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